Filmblog // Nippon Connection 2023: Ein Blick ins Programm

Das Filmfestival Nippon Connection ist die größte Plattform für japanisches Kino weltweit und findet vom 6. bis 11. Juni 2023 in Frankfurt am Main statt. Zum Auftakt wirft das DFF-Redaktionsteam einen Blick in das vielseitige Filmprogramm.

I AM A COMEDIAN (Japan/Südkorea 2022, R: Fumiari Hyuga)

Sektion: Nippon Docs

“When sadness is everywhere, many people are at their lowest. For a moment, comedy can lift them up.”

Fumiari Hyugas Dokumentation I AM A COMEDIAN begleitet Komiker Daisuke Muramoto über drei Jahre hinweg durch dessen Alltag. Als beliebter Fernsehstar in eine erfolgreiche Karriere gestartet, ist der 39-Jährige auf den japanischen Bildschirmen kaum noch zu sehen – unglückliche Themenwahl? Nicht fürs Publikum, wohl aber für die Regierung, die die Landesmedien offenbar fest im Griff hat. Muramoto, und das stellt der Film ganz wunderbar dar, sieht das Leben und die Menschen um sich herum mit wachen Augen und einer unersättlichen Neugier: Beobachtet, fragt nach, fragt weiter nach (und betrinkt sich, wenn es sein muss, mit seinem Gegenüber so lange, bis er erfährt, was er wirklich hören will), stellt sich auf die Bühne und spricht über all das, was ihn bewegt – und über das sonst niemand spricht: Kernkraftwerke, gesellschaftliche Minderheiten, politische Skandale. Und er glaubt fest daran, dass – ganz im Sinne der Komiktheorie – ein Lachen befreiend und erlösend wirken kann.

Nebenbei ermöglicht Hyugas Film sehr schöne Einblicke in die auch international eher im Nischenbereich agierende Szene der Stand-up-Comedy: Auf der nächsten Reise unbedingt mal Ausschau nach Bars und Pubs mit ebensolchem Programm halten, und viel mehr über Land und Leute erfahren, als ein Reiseführer vermitteln kann!

(Marie Brüggemann)

HOARDER ON THE BORDER (Japan 2022, R: Takayuki Kayano)

Sektion: Nippon Visions

Jahrelanges Üben, Disziplin und Aufopferung haben Ritsuki endlich dorthin gebracht, wo er nun steht: Er ist aufstrebender Konzertpianist mit einer vielversprechenden Karriere vor sich. Als dieser Traum jedoch kurz vor seinem Durchbruch durch eine Krankheit jäh zerstört wird, fällt er in ein Loch. Seine Freundin verlässt ihn und seinen Job als Lehrer für junge Klavier-Anfänger:innen nimmt er eher als Demütigung war, muss er sich nun nicht mehr mit anspruchsvollen Solowerken, sondern mit dem Flohwalzer in Dauerschleife auseinandersetzen. 

Auf der Suche nach neuen Erfahrungen bewirbt sich Ritsuki kurzerhand bei der Reinigungsfirma Danshari Paradise, die auf das Entrümpeln von zugemüllten Wohnungen spezialisiert ist. Diese neue Arbeit reißt den zurückhaltenden jungen Mann aus seiner akribisch sauberen, heilen Welt und konfrontiert ihn zum ersten Mal mit den – metaphorisch wie buchstäblich – schmutzigen Seiten der japanischen Gesellschaft. Dort erhält er ungeschönte Einblicke in die Wohnräume und damit in das Leben derer, die vom Sozialsystem abgehängt wurden. Mit viel Witz und Kritik zugleich erzählt HOARDER ON THE BOARDER so von einer alleinerziehenden Mutter, einem Rentner, einem Migranten und einer jungen Lehrerin. Und natürlich auch von Ritsuki, der auf seine ganz eigene Weise durch das Raster gefallen ist und nun seinen Weg finden muss. 

(Katharina Popp)  

I AM WHAT I AM (Japan 2022, R: Shinya Tamada)

Sektion: Nippon Cinema

Toko Miura, die beim diesjährigen Festival mit dem Nippon Rising Star Award ausgezeichnet wird, der herausragende Nachwuchstalente des japanischen Kinos ehrt, spielte in Ryusuke Hamaguchis Oscar-prämierten Drama DRIVE MY CAR eine wortkarge Fahrerin. In I AM WHAT I AM ist sie nun in ihrer ersten Hauptrolle zu sehen.

Sie spielt die 30-jährige Kasumi, die single ist und damit eigentlich auch völlig zufrieden. Die Mutter lockt sie unter einem falschen Vorwand zu einer Veranstaltung einer Heiratsvermittlung. Zuerst glaubt Kisumi, in dem jungen Mann unerwartet einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Doch schnell muss sie feststellen, dass sie sich geirrt hat: Auch er sucht nach einer konventionellen Liebesbeziehung. Als sie eine Klassenkameradin aus der Mittelstufe wiedertrifft, ein ehemaliger Porno-Star und ebenfalls eine Außenseiterin, scheint sie endlich eine Verbündete gefunden zu haben.

I AM WHAT I AM bricht mit den Konventionen der RomCom: Zwar gibt es Dates und Verkupplungsversuche, doch dieses Mal steht eine asexuelle Frau im Mittelpunkt. So ist die Frage nicht mehr, wann, wo und wie ihr “der Richtige” (oder die Richtige) begegnet, sondern wann, wo und wie sie endlich so akzeptiert wird, wie sie ist. Das ist neu und erfrischend, wenn der Film auch hier und da auf bekannte Klischees zurückgreift (wie die besorgte Mutter, die ihre Tochter unbedingt und schnellstmöglich verheiratet sehen will). Auch hätte man sich insgesamt etwas mehr Nachdruck gewünscht: Man hätte die Geschichte entweder mit mehr Tempo und Witz erzählen können, um die Absurdität des Heiratswahns auf die Spitze zu treiben oder in einem ernsteren Ton, der den Druck auf junge, alleinstehende Menschen als gesellschaftliches Problem offenlegt. So bewegt sich der Film zwischen Komödie und Drama, lässt aber wirklich eindringliche Momente vermissen.

(Naima Wagner)

MY ANNIVERSARIES (Japan 2021, R: Sungwoong Kim)

Sektion: Nippon Docs

„My life can’t be all good things“ sagt Shoji Sakurai, nachdem er beinahe 30 Jahre für einen Mord unschuldig im Gefängnis saß, nach seiner Entlassung einen jahrzehntelangen, kräftezehrenden Kampf um den Beweis seiner Unschuld führte und sich dann noch mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sieht. Die Ärzte sagen, ihm bleibe noch ein Jahr, trotz allem hat er fast immer ein Lächeln im Gesicht.

Als Jugendlicher gerät er auf die schiefe Bahn, mit 20 ist er arbeitslos und finanziert sich gemeinsam mit einem Freund durch kleine Diebstähle und Einbrüche. Im Oktober 1967 werden sie unter Vorwurf eines Raubüberfalls und Mords verhaftet, plädieren auf unschuldig, aber können kein Alibi vorweisen. Beide werden zum Geständnis gezwungen, sie verbringen 29 Jahre und einen Monat im Gefängnis – eine komplexe, enge Freundschaft, wie Sakurai selbst deutlich macht: “a stronger bond than siblings, connected through false conviction”.

In Haft gibt er sein Bestes, Freude in den kleinen Dingen zu finden, schreibt unablässig Lieder, Haikus und Briefe, kontaktiert Menschen, die ihm bei seinem Fall helfen sollen, will zeigen, dass er noch existiert. Auch nach der Entlassung sind beide noch immer als Mörder gebrandmarkt und streben eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Gleichzeitig beginnt er anderen unschuldig Verurteilten zu helfen, macht Aufklärungsarbeit im ganzen Land und findet Zuflucht im Aktivismus gegen eine ungerechte Justiz. Die Dokumentation verfolgt Sakurai über viele Jahre und zeigt, was drei Jahrzehnte Gefängnis und Freiheitsentzug aus einem durchweg optimistischen, humorvollen Menschen machen können.

(Frieder Brehm)